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Geschichte

Anmerkung der Redaktion: Die Geschichte hat uns Peter Middel für den ersten "neuen" Westfalenparklauf freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür.

Der erste Sieger war ein Nachtwächter

Am 14. November 2009 fand der beliebte Parklauf des TSC Eintracht 48-95 "Rund um den Fernsehturm" bereits zum 44. Mal statt. Die Veranstaltung zählt damit neben dem Paderborner Osterlauf und dem Lauf "Quer durch Ergste" zu den ältesten Läufen im Bundesgebiet.

Bei der letzten Auflage dominierten über 10 km Fynn Schwiegelshohn und Mira Räker (beide LG Olympia Dortmund). Zu den Siegern zählen in der 44-jährigen Geschichte u.a. der 24-fache deutsche Langstreckenmeister Lutz Philipp, der Deutsch-Chilene Edmundo Warnke (beide ASC Darmstadt), Dirk Sander (LG Lage-Detmold), Peter Belger (Bayer Leverkusen), Volker Welzel (LG Menden), Jens Wilky (LC Rapid) und zuletzt die Seriensieger Ansgar Varnhagen und Robert Schulte (beide LG Olympia Dortmund).

Wer trug sich jedoch zum ersten Mal in die Siegerliste ein? Die Chronik verweist auf Klaus Vieth (SC Dahlbausen). Vier Langstreckler wissen dies jedoch besser und verweisen auf einen Nachtwächter des Westfalenparks mit seinem blutrünstigen Hund. Dieses Duo gewann ein Rennen, das sich über Wochen hinzog und das zwischen dem Aufsichtspersonal des Westfalenparks und den vier besagten, übereifrigen Läufern des TSC Eintracht ausgetragen wurde. "Warum immer auf dunklen Straßen trainieren, wo es doch die beleuchteten und ebenen Wege im Westfalenpark gibt," fragten sich die Vier. Ein Training in Dortmunds Mekka der Spaziergänger war also beschlossene Sache. Ihr Plan hatte allerdings noch einen Haken. Wie sollte man täglich das Eintrittsgeld aufbringen, wo doch alle noch zur Schule gingen. Guter Rat war in diesem Fall nicht teuer. Man entschloss sich, kurzerhand an den Kassenhäuschen vorbei zu spurten, ohne Geld zu hinterlassen und dann notfalls ein Rennen mit dem diensthabenden Wärter aufzunehmen.

Beim ersten Training auf neuen Terrain gab man sich recht siegessicher, als zum Spurt angesetzt wurde. Dieses Siegesbewusstsein erwies sich als durchaus berechtigt, denn der Überraschungseffekt war so groß, dass der diensthabende Wärter nicht die Verfolgung aufnehmen konnte, jedoch hatte er schon erste Bekanntschaft mit den abendlichen Ruhestörern gemacht.

​Am folgenden Tag wieder der bewährte Spurt und die Läufer hatten sich Eingang verschafft. Jedoch wurde der Wärter dieses Mal durchaus seiner Berufsbezeichnung gerecht. Zwar hatten unsere Vier schon einige hundert Meter zurückgelegt, bevor er sich aus der Monotonie seiner Arbeit aufraffte und pflichtbewusst die Verfolgung aufnahm. Seine nikotingeschwärzte Lunge gebot ihm aber schon nach 30 Metern Einhalt, während die Langstreckler kaum noch in Sichtweite waren.

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Neuer Tag! Neues Training! Altbewährte Taktik!

Mit der Zeit hatte sich jedoch die Kunde unliebsamer Laufbesessener bei den "Sauermännern" des Parks herumgesprochen. Man holte Verstärkung. Aber auch vier Wärter konnten das abendliche Training nicht aufhalten, obwohl einige von ihnen schon recht beachtliche Fortschritte machten und bis zu 80 Meter zügigen Schrittes durchhielten. Ihr Unterfangen erschien ihnen nach mehrfachen Versuchen zwecklos. Sie beschlossen, die Läufer irgendwie anders aufzuhalten, damit die bei den Nachtwächtern nicht geschätzte "Trimm-Dich-Aktion" ein Ende fand. Dieses "Irgendwie" bildeten zwei Barrieren, die von Fußballanhängern auch "Wellenbrecher" genannt werden. Zwischenzeitlich hatte man auch schon die genaue Ankunftszeit der Läufer ausfindig gemacht, so dass nur die Barrieren vor die Eingänge geschoben werden mußten, um der Läufer habhaft zu werden. Mit Spannung erwarteten die listigen Männer das Erscheinen ihrer Kontrahenten. In der Ferne sichteten sie einen Trainingsanzug mit noch nicht zu identifizierender Aufschrift. Vereinte Kräfte schoben die Eisengitter vor das Eingangstor. Die Probe aufs Exempel! Die Langstreckler beschleunigten wieder kurz vor dem Eingang, um dann am Kassenhäuschen Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Doch was erblickten sie im Halbdunkel?

Die Fahrt war nicht mehr zu bremsen. Das Ende der Verfolgungsjagd schien nahe. Aber auch diese Situation meisterten die Langstreckler bravourös. Im eleganten Hürdenstil überwanden sie das Hindernis einträchtig, frohlockend, sich auf diese Weise bestens auf den 3000 m Hindernislauf vorbereiten zu können. Den Wärtern verschlug dieses erneuten Husarenstreichs die Sprache, so dass sie auch nicht schimpfend wie an sonstigen Tagen in der Ferne gehört wurden. Aufgrund ihrer animalischen Lebensäußerungen glaubten sie es mit fremdartigen Wesen zu tun zu haben. Erneut fassten sie "Kriegsrat", denn diese Anormalen waren bei ihnen Tagesgespräch. Tage vergingen. Allabendlich dasselbe Schauspiel, bis den diensteifrigen Männern diese zusätzliche Arbeit zuviel wurde, und sie darüber hinaus als zwecklos erachteten.

Drastische Maßnahmen mussten die nächtlichen Ruhestörer zur Raison bringen. Ihre letzten Hoffnungen verkörperten ein halbwegs durchtrainierter Nachtwächter und sein ausgehungerter Hund als wertvolle Schützenhilfe, die sich beide dem abenteuerlichen Auftrag ihrer Kollegen beugten. "Sicher ist sicher, man weiß ja nicht, was sich für Geister hinter diesen Gestalten verbergen" meinte einer der Halbuniformierten und heftete seinem Freund noch wohlmeinend eine geladene Pistole an dessen ledernen Gürtel. So nun bestens ausgerüstet, sollte die Entscheidung fallen.

Die Langstreckler fanden am folgenden Tag eine völlig neue Situation vor. Keine Barrieren, kein Aufgebot von Nachtwächtern. Man fühlte Unbehagen, passierte jedoch in altbewährter Weise das Kassenhäuschen und machte sich auf die Trainingsstrecke. Die Parkleuchten schimmerten milchig durch den dichten Nebel, so dass nur spärlich Licht auf die Wege geworfen wurde. An solchen Tagen war es besonders wertvoll im Park trainieren zu können, denn dies hatte sich zuvor auf anderen Strecken als fast gänzlich unmöglich erwiesen.

​Die Vier trotteten einträchtig durch die dichten Nebelschwaden und freuten sich, bei diesem miserablen Wetter wenigstens einige Kilometer hinter sich zu bringen. Plötzlich ein Krachen von Ästen durchkreuzte die menschenfeindliche Stille des von einer Dunstglocke überspannten Parks. Ein Rascheln, das furchteinflößende Bellen eines Hundes. Ähnlich einer Vision bäumte sich vor den Läufern eine Gestalt auf, die sie im dichten Nebel nicht gesichtet hatten. Ihr Lauf wurde jäh gestoppt. An der Uniform erkannten sie einen der so oft geneckten Nachtwächter.

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"Hände hoch oder ich schieße!"

"Hände hoch oder ich schieße!" Bei diesem kaum noch Gnade findenden Worten zog er eine Pistole aus dem Halfter und richtete sie auf die Läufer, auf die er in dieser Pose eher lächerlich als furchterregend wirkte. Was die Vier vielmehr stoppen ließ, war sein Hund, der vom Hunger gepeitscht unbarmherzig am Halsband zerrte, das ihm fast den Atem abschnürte. Er schien seit Tagen nichts zu essen bekommen haben und die zarten Langstrecklerschenkel, garniert mit schweißdurchtränkter Trainingshose, sollten für ihn ein Festtagsmenü werden. "Mitkommen! Wenn ihr wegrennt, lasse ich den Hund los!"

Der Schreck durchfuhr die Glieder der Läufer. Man kapitulierte. Noch arg mitgenommen folgten sie dem Nachtwächter. Das Bellen des Hundes durchschnitt ihnen fast das Gehör. Sie wurden zum Kassenhäuschen abgeführt. Stolz präsentierte der Wärter seinen Kollegen die Beute: "Ruft die Polizei!"

Minuten später traf diese mit gespenstisch zuckendem Blaulicht und schriller Sirene ein. Diese vier Banausen haben Waschpulver in den Springbrunnen geschüttet, Parkbänke umgekippt und Spaziergänger belästigt," sprudelte es aus dem Nachwächter hervor, der sich über den Coup, den er gelandet hatte, offensichtlich am meisten freute.

Ob dieser Anschuldigungen suchten unsere vier Langstreckler Rechtfertigung. Die Ordnungshüter wurden stutzig. Einer von ihnen bemerkte, dass sportliche Kleidung auch etwas mit Sport zu tun habe. Außerdem lehrte sie die Erfahrung, dass die vier hageren Gestalten mit den rosigen Gesichtern eher einem Kirchenchor angehören würden als dass sie Mitglieder von ungebändigten Rockergruppen wären.

Die Polizisten versuchten zu vermitteln. Der Nachtwächter blieb aber bei seiner Aussage. Für die Sportler blieb nichts anderes übrig als der Weg, den Gesetzesbrecher notgedrungen antreten müssen. Protokoll, Vernehmung, Anzeige. Bevor die blauen Amtsbriefe den Sündenböcken jedoch ins Haus flatterten, erhielt man eine Vorladung von der Westfalenparkleitung, die mit den Übeltätern auch einmal Bekanntschaft machen wollte. Die Vier kamen dieser Aufforderung freudig nach, denn man glaubte, einen Teil der ungeheurigen Anschuldigungen loszuwerden. Voller Reue suchten sie den damaligen Leiter des Westfalenparks, Herrn Stiene, auf. Dieser hörte sich die ganze Geschichte mit Schmunzeln an, zerriss die Anzeigen und erklärte die ganze Angelegenheit als erledigt.

Die Läufer waren überrascht, denn soviel Entgegenkommen hatten sie in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet. Ihre Verwunderung wurde noch größer, als Herr Stiene ihnen vorschlug, mit seiner Erlaubnis einmal ein Rennen im Park auszutragen, bei denen nicht Nachtwächter, sondern "Gleichgesinnte" ihre Gegner wären. Gesagt, getan. Dies war die Geburtsstunde des Parklaufes "Rund um den Fernsehturm", der nun alljährlich auf den ebenen und gepflegten Wegen des Westfalenparks ausgetragen wird.

Bliebe nur noch zu sagen, dass der Verfasser dieser Zeilen den zweifelhaften Ruf hat, bisher als einziger bei allen Parkläufen dabeigewesen zu sein - auch bei den illegalen.

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Peter Middel

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